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Knechte, Pächter und Müller
Fürs erste nahm Gerhard Eickhoff einen Müllerknecht an. Insgeheim hatte er sich vorgenommen, diesen nach und nach so anzulernen, daß er in einigen Jahren zur Not allein müllern könnte. So sah man ihn denn in der nächsten Zeit häufig auf dem Mehlsöller und am Sackzug, damit bei großem Andrang die Mahlgäste flott bedient wurden. Alles schien nach Wunsch zu gehen. Aber es heißt ja im Lied: das Wandern ist des Müllers Lust. Und das galt leider auch für die Zunft der Windmüller: die waren unruhige Gesellen. Es wollte ihm trotz Verheißung höheren Lohns einfach nicht gelingen, einem zum Bleiben zu veranlassen. Einige Male geschah es auch, daß sie mit dem Mahlgeld auf und davon gingen. Dabei wurden die Geschäfte natürlich täglich schlechter, so daß ihm die schöne Mühle fast verleidet war.
Anmerkung zu dieser Schrift von Berthold Schön in der Fassung von Willi Dittgen: Geschichtsschreibung war (und ist) häufig Sache der Sieger oder Mächtigen. Es gibt keine Aufschreibungen von den Müllerknechten von 1822 bis 1833 in der Hiesfelder Windmühle. Gerhard Eickhoff war aufgewachsen auf einem Bauernhof, geschult als Soldat und nach heutiger Betrachtung eine Art Selfmademen. Gelernter Müller war er nicht. Durch die Jahrhunderte des Mühlenbanns waren die meisten Mühlen nur auf eine Produktgruppe ausgerichtet: Wer Korn mahlte, der hatte nicht die Möglichkeit auch Holz zu sägen... und wer Korn mahlte, der war arbeitslos nach getaner Arbeit. Die Haupt-Auslastung einer Kornmühle lag nach der Ernte und verteilte sich nicht über das Jahr. Das war der Hauptgrund für das "Wandern..." Bei der romantischen Betrachtung des Mühlenwesens wird oft nicht geschildert, dass es ein Knochenjob war. Die Gefahr des Rutenschlages, die steilen und mehlglatten Stiegen und in der Frühzeit auch Brandverletzungen durch Mahlsteine - es gab viele Ursachen für Verletzungen - viele Gründe, dass ein Knecht die Mühle verließ. |
Eines Tages im September, als er wieder einmal verärgert und entmutigt in der Mühle wirtschaftete, riet ihm ein guter Nachbar: "Versuch es doch einmal mit einem Pächter. Hole dir den Wilhelm Beckmann aus Winnental. Der war früher in Spellen und galt dort als ehrlich und fleißig wie kein anderer."
Am 1. Oktober 1833 übernahm der Müllermeister Johann Wilhelm Beckmann die Windmühle in Hiesfeld. Gerhard Eickhoff sollte die Wahl nicht bereuen. Bald nach Weihnachten ließ Beckmann bekanntmachen, daß er von nun an in der Mühle Aufträge zum Mahlen von Eichenlohe annehmen würde. Bei ihm sollte es nicht vorkommen, daß die Mühlsteine wochenlang stilllagen, wenn der Hauptansturm zum Kornmahlen nach der Ernte vorüber war. Gleichzeitig schloß er mit dem Gerbereibesitzer Bleckmann in Dinslaken einen Vertrag, seinen gesamten Bedarf verbilligt zu mahlen.
Dieses Abkommen sicherte dem Pächter einen vorteilhaften Dauerauftrag gerade für Zeiten, in denen wenig Korn geliefert wurde. Ein weiterer Vorteil: die Lohmüllerei brachte ständig Bargeld, während beim Korn oft bloß 1/20 "Mulster" (Bezahlung durch Zurückhalten von Getreide oder Mehl) abfielen. Bald folgten auch andere kleine Gerber, Händler und Handwerker (Schuster) dem Beispiel Bleckmanns: so Liefmann, Schuster Möllenbruck, Flügel, Berns, Ensing, Bremer, Hüsken, Winkelmann, Gerber Moses. Zu seinen Mahlgästen mit kleineren Aufträgen zählten auch Schuster Ahls in Dinslaken, Schuster Strengmann, Reiners in Hünxe, G. Sarres aus Voerde, Lantermann, Winkelmann.
Aus Wilhelm Beckmanns Mahlbüchern
Diese Zahlen erhält man, wenn man die Monatsspalten in des Pächters Lohmahlbuch zusammenzählt. Das bedeutet, daß im Durchschnitt pro Arbeitstag etwa 3 Zentner Lohe gemahlen wurden. Einmal zählte der Müller zusammen, wieviel er für Bleckmann und wieviel er für die anderen gemahlen hatte. Die Berechnung lautet: von Oktober 1843 bis August 1846 für Bleckmann 109447 Pfund, für die anderen 85308 Pfund gemahlen.
Bleckmann hatte die größte Lohgerberei in Dinslaken ( siehe Sonderseite Lohe)
Aber was ist eigentlich Lohe? Im Frühjahr schälte man die jungen Eichen. Die Rinde trocknete dann zunächst auf den Stalldielen der Bauernhäuser oder auch an der Sonne. Die harten Schalen mußten schließlich mit dem Handbeil kleingehackt oder sonst wie gehäckselt werden, ehe sie gemahlen werden können. In Säcken wurden sie an die Mühlen geliefert und von dort gemahlen zur Gerberei abgefahren. Wie über die Lohmüllerei führte Beckmann auch sorgfältig Buch über die Korngeschäfte. An jedem ausgenutzten Windtag trug er die Mulstermenge und ihren Gegenwert in Geld ein.
Gelegentlich nahm der Müller statt des Korns auch Kohlen, Fleisch, Stroh, Schranzen und anderes als Mahlgebühr entgegen, gerade wie es dem Mahlgast und ihm selbst günstig kam. Viel seltener bezahlte man damals in barer Münze. Nehmen wir 1/20 Mulster an, dann lassen sich folgende ungekürzte Kornmengen errechnen, die durch die Windmühle verarbeitet wurden.
für 1834 ca.200 Ztr. Getreide
für 1835 ca. 300 Ztr. Getreide
für 1836 ca. 240 Ztr. Getreide
Pächter und Mühlenbesitzer konnten mit dem bisherigen Aufschwung wohl zufrieden sein.